Die Frühphase der Schwalenberger Malerkolonie

Bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert gab es verschiedene Künstler - vorwiegend aus der Düsseldorfer Schule -, die regelmäßig in Lippe wirkten und auch Schwalenberg gelegentlich Besuche abstatteten. Gustav Adolf Köttgen ist hier zu nennen, der bereits 1854 durch den Detmolder Künstler Gustav Quentell auf Schwalenberg aufmerksam wurde. Es folgten Köttgens Schwiegersohn Karl Gehrts – wie Köttgen auch Mitglied des Düsseldorfer Malkastens – und der Österreicher Wenzel Ottokar Noltsch. Weitere Künstler aus dem Düsseldorfer Umfeld, die schon früh nach Schwalenberg kamen, waren Adolf Lins, Christian Kröner, Anton Henke sowie der mit ihm befreundete, in Berlin lebende Maler Werner Schuch. Auch der aus Schweden stammende Anders Montan ist der Düsseldorfer Schule zuzurechnen. Er wirkte in Lippe vor allem in Horn, wo er mehrere Urlaube verbrachte, kam aber besuchsweise auch nach Schwalenberg.

Schwalenberg mit dem noch unbewaldeten Burgberg Anfang des 20. Jahrhunderts
Im beginnenden 20. Jahrhundert tränken die Bauern ihre Kühe ganz selbstverständlich an der Tränke mitten im Ort - lange bevor diese zum "Volkwin-Brunnen" ausgebaut wird.

Die Beherbergungsmöglichkeiten in Schwalenberg waren allerdings seinerzeit noch äußerst bescheiden. Schlichte Gasthäuser, eher auf den Schankbetrieb für die Ortsansässigen eingestellt denn auf die Beherbergung von Fremden, luden nicht unbedingt zu längeren Aufenthalten ein. Es war in erster Linie der künstlerisch wie heimatkundlich sehr interessierte und rührige Pastor Alexander Zeiß, der die Schwalenberger Pfarrstelle seit 1885 innehatte und der schon damals des öfteren Künstler in seinem Pfarrhaus aufnahm. Die Informationen über die frühen Künstlerbesuche des 19. Jahrhunderts in Schwalenberg gehen größtenteils auf Alexander Zeiß zurück. Sein Vater Emil Zeiß – ebenfalls Pfarrer und im Nebenberuf ein bekannter lippischer Maler – nahm im Pfarrhaus des Sohnes seinen Altersruhesitz. Ansonsten blieb es jedoch bei singulären Aufenthalten einzelner Künstler, die einander kaum begegneten und in Schwalenberg auch nur wenige Spuren hinterließen.

Schwalenberg zählte im 19. Jahrhundert schon lange nicht mehr zu den lippischen Städten, sondern war auf den Status eines "Flecken" gesunken. Erst um die Jahrhundertwende setzten intensivere Bemühungen ein, Schwalenberg baulich aufzuwerten. Das Rathaus wurde erweitert, wofür der historische Thomashof bedenkenlos geopfert wurde, weitere "stadtgemäßere" Häuser entstanden und sogar die Burg wurde nach 200 Jahren des Verfalls wieder instandgesetzt . Der Schriftsteller Peter Hille setzte ihr in seinem Roman "Die Hassenburg" ein literarisches Denkmal. Die Forschungen von Pastor Alexander Zeiß zur Heimatkunde stießen auf zunehmendes Interesse, eine Ortsgruppe des Bundes für Heimatschutz und Heimatpflege wurde gegründet, und die Wiederbelebung der überlieferten Trachtentradition der alten Brauergilde führten zur Gründung der Trachtengruppe. Im Jahre 1906 erfolgte schließlich durch Fürst Leopold IV. die Wiedererhebung Schwalenbergs zur Stadt

Der noch ländlich geprägte Marktplatz mit einem Pferdefuhrwerk und Mieten vor den Häusern
Ein Aquarell von Hans Bruch aus dem Jahr 1910 mit Schwalenberger Rathaus und Altem Stadttor (das zu diesem Zeitpunkt schon längst nicht mehr stand).

Die eigentliche Entwicklung zur Malerkolonie setzte ebenfalls zu dieser Zeit, insbesondere durch die im frühen 20. Jahrhundert aufkommende Sommerfrischenbewegung ein. Vor allem Künstler aus Berlin und Umgebung waren es nun, die Schwalenberg für sich entdeckten und dort erstmalig den Kern einer zunächst noch kleinen Malerkolonie bildeten.
Den Anfang machten im Sommer 1906 die Berliner Akademiestudenten Hans Bruch (geb. 1887) und Berthold Ehrenwerth (geb. 1886), die gemeinsam mit dem bereits etablierten Landschafts- und Genremaler Albert Kiekebusch (Jahrgang 1861) zu einem Studienaufenthalt in Bad Pyrmont weilten und von dort aus Wanderungen in die nähere und weitere Umgebung unternahmen. Offenbar zufällig kamen sie während einer solchen Wanderung über das Mörth bis nach Schwalenberg. Sie nahmen Quartier im Gasthof Meier, einem einfachen Landgasthof, der zu diesem Zeitpunkt zwar schon über hundert Jahre bestand, aber ansonsten nichts Besonderes darstellte.
Außergewöhnlich war allenfalls der neue Inhaber, Hermann Niederbracht, der den Gasthof erst drei Jahre zuvor übernommen hatte und heimatkundlich wie auch musisch vielfältig gebildet war. Darüber hinaus verfügte er über einen gesunden Geschäftssinn und gedachte, aus dem Gasthaus etwas Besonderes zu machen. Für ihn kamen daher die drei Berliner Maler wie gerufen und er ermunterte sie zu einem längeren Aufenthalt. Es gefiel ihnen so gut, dass sie in den folgenden Jahren wiederkehrten.
Insbesondere Hans Bruch, zweitgeborener Sohn des bekannten Komponisten Max Bruch, verbrachte ab 1907 bis zu seinem frühen Tod im Juni 1913 jeden Sommer für mehrere Wochen in Schwalenberg und schuf hier zahlreiche Werke. Im Gasthof Meier gehörte er fast schon zur Familie und warb unter seinen Kommilitonen und Kollegen in Berlin für seine neu entdeckte Sommerfrische. So fanden bereits vor dem 1. Weltkrieg Franz Eduard Rothe, Ludwig Kath und Franz Born den Weg nach Schwalenberg sowie der in Berlin zum Kreis um den bedeutenden Landschaftsmaler und Akademieprofessor Eugen Bracht gehörende Hans Licht.
Auch Künstler aus dem lippischen Umfeld wie der Detmolder Landschafts- und Blumenmaler Ernst Rötteken oder die Blomberger Malerin Margarethe Krieger fühlten sich durch die ständig wachsende Künstlerschar während der Sommermonate angezogen. Aus dem ebenfalls nicht fernen Hannover fanden Elisabeth Ruest und der bedeutende Graphiker E. W. Baule den Weg nach Schwalenberg. Hans Licht schloss in Schwalenberg Freundschaft mit Franz Born und E.W. Baule; teilweise erteilten sie auch gemeinsam Unterricht – bis zu Borns frühem Tod im 1. Weltkrieg.

Elisabeth Ruest: Seitenansicht des Rathauses von Schwalenberg, Radierung um 1910 (Privatbesitz)
Alfred Ullmann: Die Schwalenburg, Öl auf Hartfaser, um 1915, (mit freundlicher Genehmigung der Lippischen Kulturagentur)
E.W. Baule: Alte Torstaße mit Blick auf das Haus des Blaudruckers Kleinsorge, kolorierte Druckgrafik, 1918 (Privatbesitz)