Die Blütezeit der Malerkolonie zwischen den Weltkriegen

Dass der tiefe Einschnitt des 1. Weltkrieges nicht zugleich das Ende der Schwalenberger Künstlerszene bedeutete, sondern die Malerkolonie nach dem Weltkrieg sogar trotz des frühen Todes ihrer beiden Protagonisten Hans Bruch und Franz Born bald zu neuer Blüte gelangte und mehr Künstler anzog als je zuvor, ist zweifellos das vorrangige Verdienst zweier Männer: Hans Licht und Hermann Niederbracht.

Im Jahre 1920 reiste der Berliner Künstler und Kunstlehrer Hans Licht erstmalig in Begleitung von rund vierzig Schülerinnen und Schülern in Schwalenberg an und betrieb dort den ganzen Sommer über seine Malschule. Dies wiederholte sich nun in den folgenden Jahren Sommer für Sommer.
Mit der Malschule Hans Lichts entwickelte sich Niederbrachts Gasthof endgültig zum Zentrum der Schwalenberger Malerkolonie. Dort residierte der Meister selbst, dort saßen seine Malschüler beim Essen zusammen - und gleich nebenan, in der Scheune, fand der Unterricht statt. Da die zum Gasthof gehörige Landwirtschaft in dieser Zeit nur eingeschränkt betrieben wurde, konnten Niederbrachts die Scheune weitgehend entbehren. Der große Mitteltrakt der Scheune stand den Malern zur Verfügung, die hier eine lange Staffelei aufbauten.
Als Freilichtmaler schufen sie ihre Werke natürlich nicht in der Scheune. Hans Licht erteilte ihnen Aufträge, wie z.B. eine Morgen- , eine Mittags- und Abendstimmung einzufangen, die sie an Ort und Stelle in den Schwalenberger Gassen oder in der Umgebung der Stadt auf das Papier brachten. Später wurden die Studien nebeneinander auf die Staffelei gelegt und von Hans Licht und den anderen Malerkollegen begutachtet und diskutiert. In den Abendstunden saß man dann in der Gaststube beisammen und "fachsimpelte" weiter.
Deutlich wird, in welcher Weise Niederbracht die Maler unterstützte, indem er ihnen reichlich Raum bot und das passende Ambiente schuf – im Gegenzug profitierte wiederum der Gasthof. Das Verhältnis zwischen Hans Licht und Hermann Niederbracht I. ist exemplarisch für den beiderseitigen Vorteil: Niederbracht suchte in der schweren Zeit nach dem 1. Weltkrieg wirtschaftlich Anschluss an die Vorkriegssituation, und da kam ihm der Berliner Künstler mit seiner Malschule gerade recht; Hans Licht seinerseits fand in Niederbrachts Gasthof, inmitten der schönen Schwalenberger Umgebung, geradezu Idealbedingungen für seinen Lehrbetrieb vor.
Es liegt auf der Hand, welchen Vorteil Schwalenberg und der Gasthof Meier für ihn in diesem Zusammenhang hatten: Ein festes Quartier in ländlichem Umfeld, mit günstigem Preisniveau und viel Platz für die Malschule – und dies inmitten einer für die Landschaftsmalerei sehr geeigneten Gegend ! Auch wenn Hans Licht und seine Schüler keineswegs - wie es die Legende will - mit ihren Bildern bezahlen konnten, so war ein Aufenthalt in Schwalenberg für sie doch vergleichsweise billig. Die Übernachtungspreise, die Lebensmittelpreise waren niedriger als andernorts; gewiss ging auch mal die eine oder andere Lage Bier für die Künstler auf Kosten des Hauses, nicht nur bei Niederbracht, sondern auch in den anderen Gasthäusern.
Die Unterbringung all der Malschüler, die sich bei Niederbrachts versammelten, konnte ja nicht im Gasthof Meier allein erfolgen, der zu Beginn der zwanziger Jahre nach wie vor nur über zehn Gästebetten verfügte. In den Sommermonaten wohnten in allen Schwalenberger Gasthöfen ständig Maler – insbesondere im Gasthof Aldegarmann (heute "Berggarten") und im Gasthof Richter, dem heutigen "Schwalenberger Malkasten". Auch zahlreiche Privatquartiere standen den Malern zur Verfügung. Dadurch kam ein enger Kontakt zwischen den Künstlern und der Schwalenberger Bevölkerung zustande, der sich noch heute in einem ungewöhnlich hohen Bestand an Originalbildern aus dieser Zeit in vielen Schwalenberger Familien widerspiegelt.
Die meisten Bilder freilich gab es im "Gasthof Meier" zu sehen, der dann in den zwanziger Jahren den suggestiveren Namen "Künstlerklause" erhielt und umfangreich ausgebaut wurde, um den immer größeren Scharen von Malern und sonstigen Gästen Raum zu bieten.

Hans Licht: Alte Torstraße mit Blickrichtung zum Rathaus - rechts im Bild die Künstlerklause, Öl, o.J. (zwanziger Jahre)(mit freundlicher Genehmigung der Lippischen Kulturagentur)
Nelly Cunow: Schwalenberger Landschaft mit Burg, Öl auf Leinwand, o.J. (zwanziger Jahre)(mit freundlicher Genehmigung der Lippischen Kulturagentur)

Während der zwanziger Jahre kamen ständig neue Künstler hinzu – die meisten von ihnen im Gefolge Hans Lichts; so z.B. seine Schüler Fritz Hildebrandt, Alfred Ullmann, Hermann Krug oder der sorbische Künstler Willi Schieber aus Märkischheide, der seine Werke meistens mit "W. Sieber" signierte. Vor allem auch zahlreiche Malerinnen kamen durch Hans Licht nach Schwalenberg, etwa Nelly Cunow, Margarete Mikeleitis, Anna Kühl, Olga Werkmeister oder die erst 16-jährige Ellen Dresing, die wegen ihrer jungenhaften Erscheinung von den Schwalenbergern "Malbubi" genannt wurde.
Darüber hinaus fanden auch noch weitere Schüler von Prof. Friedrich Kallmorgen aus der Berliner Akademie nach Schwalenberg, insbesondere Artur Gutknecht-Nebra (geb. 1880) und Robert Kämmerer-Rohrig (1893-1977). Gerade letzterer wurde ein für die Schwalenberger Malerkolonie prägender Künstler. Zusammen mit seinem Vater, dem in Berlin-Zehlendorf ansässigen Kunstmaler Robert Kämmerer d.Ä. (1870-1950), kam Kämmerer-Rohrig seit Beginn der zwanziger Jahre sehr häufig nach Schwalenberg. Beide, Vater und Sohn, haben in Schwalenberg deutliche Spuren hinterlassen, und insbesondere der Vater prägte mit seinen Werken ganz wesentlich das Innere der Künstlerklause.
Er wurde hierin nur noch übertroffen von Friedrich Eicke (1883-1975), der in der Folge des 1. Weltkriegs aus seiner Wahlheimat Ostpreußen ins Lippische übersiedelte und sich in Berlebeck bei Detmold niederließ. Eicke gestaltete die Künstlerklause nicht nur im Inneren, sondern versah sie vor allem 1930/31 mit einer auffälligen Fassadenmalerei, die heute noch vorhanden ist.

Margarethe Krieger kam von Blomberg aus weiterhin ins nahe Schwalenberg, ebenso der Berliner Maler Magnus Zeller, der mit dem lippischen Oberbaurat Karl Vollpracht befreundet war und bei ihm auf der Blomberger Burg ein Atelier unterhielt. Der Berliner Tiermaler und Pressezeichner Moritz Pathé kam von seinem Urlaubsdomizil "Gasthof Kukuk" in Himmighausen häufig nach Schwalenberg, während die Brüder Robert und Karl Henckel aus dem lippischen Horn stammten. Aus dem anderen lippischen Fürstentum Schaumburg-Lippe ist der bekannte Portraitmaler Heinrich Schwiering als häufiger Gast in Schwalenberg zu nennen.

Hans Northmann: "Die Tinne", Öl auf Leinwand, 1928,Northmann, Hans (1883- 1972): "Die Tinne", Öl / Leinwand 1928, 95 x 86 cm
Bemalung der Giebels der Künstlerklause durch Friedrich Eicke 1931

Auf einer Radtour durch das Lippperland fand der Maler Robert Koepke aus Bremen 1927 offenbar zufällig nach Schwalenberg. Er hatte Kontakte in die bedeutende Künstlerkolonie Worpswede. In Schwalenberg gefiel es ihm aber so gut, dass er fortan gemeinsam mit seiner Frau immer wieder hier anreiste, arbeitete und in der Künstlerklause ausstellte.

Aus Hannover kamen weiterhin regelmäßig Elisabeth Ruest und E.W. Baule nach Schwalenberg, desgleichen Alfred Heubach und Carry van Biema (eigentlich Karoline van Biema). Letztere zählte neben Paul Smalian und Magnus Zeller zu den "moderneren" unter den Schwalenberger Künstlern, während die überwiegende Zahl der hier vertretenen Künstlerinnen und Künstler im impressionistischen oder naturalistischen Stil blieb.