Hermann Niederbracht (1876 – 1966)

Hermann Niederbracht - gelegentlich auch als "Herrmann Niederbracht I." bezeichnet, um ihn von seinem Sohn und seinem Enkel gleichen Namens zu unterscheiden - stammte aus Siebenhöfen bei Blomberg, wo er am 19. Januar 1876 als zweitjüngstes von acht Kindern des Gutsbesitzers Georg Niederbracht und seiner Frau Mathilde geboren wurde. Schon seit Ende des 15. Jahrhunderts ist in Siebenhöfen eine Familie Bracht nachweisbar, die sich später - der örtlichen Lage ihrer Höfe folgend - in Niederbracht und Oberbracht teilte. Die Tatsache, dass Hermann Niederbrachts Mutter wiederum eine geborene Oberbracht war, mag verdeutlichen, wie sehr man in Siebenhöfen, das auch heute noch eher den Eindruck einer kleinen Ansammlung von Gehöften als den eines Ortes vermittelt, über die Jahrhunderte unter sich geblieben war.

Der Niederbrachtsche Hof, auf dem Hermann aufwuchs, besteht heute nicht mehr. Nur eine kaum lesbare Balkeninschrift an einem Speichergebäude erinnert noch an die früheren Besitzer. Ende des 19. Jahrhunderts handelte es sich um ein stattliches Anwesen. Es muss zugleich ein kulturell anspruchsvolles Elternhaus gewesen sein, in welchem der junge Hermann Niederbracht Anregungen der unterschiedlichsten Art erhielt. Er lernte bereits als Kind Geige und Trompete spielen, entwickelte einen Sinn für die Malerei, und kannte sich in der Geschichte seiner Heimat ebenso aus wie in der Fauna und Flora. Seine Allgemeinbildung, sein Ideenreichtum und sein ausgeprägtes Organisationstalent werden von den Zeitzeugen übereinstimmend gerühmt. Da Hermann drei ältere Brüder hatte und somit als Hoferbe nicht in Frage kam, verließ er nach Absolvieren der Volksschule in Blomberg den Hof der Eltern und arbeitete auf verschiedenen Gütern des lippischen Raumes. Um die Jahrhundertwende wurde er Verwalter auf Gut Ölentrup bei Sternberg.

Hermann Niederbracht etwa 40-jährig als Soldat im 1. Weltkrieg

Zur selben Zeit lebte die junge Witwe des im Mai 1900 verstorbenen Land- und Gastwirts Karl Meier mit ihren beiden Töchtern Sophie und Emma alleine auf dem Meierschen Hof, der nach wie vor zu den größten Höfen in Schwalenberg zählte. Die Führung eines solch großen Betriebes wird für Sophie Meier trotz der Unterstützung durch die Familie Müller-Wittig, der sie entstammte, nicht eben leicht gewesen sein. In dieser Situation war ihr männliche Hilfe willkommen, und diese bot sich in Gestalt des um sechs Jahre jüngeren Hermann Niederbracht.

Vermutlich durch seinen jüngeren Bruder Albrecht hatte Hermann von der jungen Witwe erfahren und reiste nach Schwalenberg, um sie kennenzulernen. Ob es nun "Liebe auf den ersten Blick" war, wie der Sohn Hermann Niederbracht II. später annahm, oder ob die naheliegenden wirtschaftlichen Interessen beider Seiten eher den Ausschlag für die Vermählung gaben, ist für den weiteren Gang der Dinge ohne Belang. Die Hochzeit fand am 21. März 1903 in Schwalenberg statt, und damit begann auf dem Meierschen Hof die Ära Niederbracht.

Hermann Niederbracht mit seiner Geige im Saal des Gasthauses um 1925. Deutlich ist im Hintergrund bereits ein großer Bestand an Bildern, aber auch an ausgestopften Vögeln zu erkennen, die zu dieser Zeit noch nicht in einem eigenen Museumsanbau untergebracht waren.

Hermann Niederbracht kam zu einer Zeit, in der sich Schwalenberg anschickte, nach fast drei Jahrhunderten wieder unter die Städte des Landes erhoben zu werden, was dann im Jahre 1906 durch Fürst Leopold IV. feierlich vollzogen wurde. In dem bis dahin eher verschlafenen Gasthof Meier bahnte sich zeitgleich eine ähnlich positive Entwicklung an, die mit dem Aufschwung der Stadt Schwalenberg zusammentraf und bald die Malerstadt Schwalenberg hervorbringen sollte. Hermann Niederbracht, gerade 27 Jahre alt, war für den Meierschen Hof und für Schwalenberg wohl so etwas wie der richtige Mann zur richtigen Zeit. Obwohl selbst ein gelernter Landwirt, ohne berufliche Erfahrung in der Gastronomie, setzte Niederbracht von Beginn an auf den Gastwirtschaftsbetrieb, dem er durch Umbaumaßnahmen sofort mehr Raum schuf. Durch seinen sprichwörtlichen Humor, seine Allgemeinbildung und die Beherrschung verschiedener Musikinstrumente fiel es ihm leicht, mit den Gästen umzugehen, Konversation zu führen, sie zu unterhalten. Auch im Gesellschaftsleben Schwalenbergs wurde der zugereiste Niederbracht schnell akzeptiert. So zählte er beispielsweise zu den Gründern der Freiwilligen Feuerwehr und der Ortsgruppe des Heimatschutzbundes in Schwalenberg, gehörte dem Löwenrott des Schützenvereins an, wurde Stadtverordneter und schließlich sogar Stadtverordnetenvorsteher. Bei den Heimatspielen verkörperte er wiederholt die wichtige Rolle des Droste von Mengersen.

Hermann Niederbracht beschränkte sich aber nicht darauf, den Gasthof Meier auszubauen, sondern er brachte dort von Anfang an Dinge ein, die mit dem eigentlichen Gastbetrieb nichts zu tun hatten, aber die spätere Künstlerklause erst ausmachten. Die erste Besonderheit bestand in einem umfangreichen Privatmuseum. Den Grundstock hierfür legte er ebenfalls schon in den frühen Jahren seines Wirkens in Schwalenberg - lange bevor das Klausenmuseum einen festen Platz im Speicheranbau des Hauses erhielt. Die zweite Besonderheit, die schließlich entscheidend für die Entwicklung der Malerkolonie Schwalenberg wurde und den Gasthof Meier zur "Künstlerklause" machte, bildeten die Künstler.

Hermann Niederbracht blickt aus einem Fenster im 1.Obergeschoss seiner inzwischen bemalten Künstlerklause (dreißiger Jahre)

Als die Berliner Maler Hans Bruch, Berthold Ehrenwerth und Albert Kiekebusch während eines Studienaufenthalts 1906 in Bad Pyrmont auf einer Wanderung über das Mörth zufällig in Schwalenberg landeten, ergriff Niederbracht sofort die Gelegenheit, die drei Künstler zu einem längeren Aufenthalt in seinem Gasthaus zu ermuntern. In ihrer Folge kamen immer mehr Berliner Künstlerinnen und Künstler, insbesondere nachdem Hans Licht in den zwanziger Jahren seine Malschule während der Sommermonate nach Schwalenberg verlegte – und Hermann Niederbracht wurde der geschätzte Gastgeber und Gesprächspartner für Künstler ganz unterschiedlicher Art. In seiner "Künstlerklause", wie das Gasthaus seit Mitte der zwanziger Jahre hieß, zeugte eine unglaubliche Vielfalt von Kunst an allen Wänden von dieser produktiven Zeit.

Auch als sich Hermann Niederbracht I. nach dem 2. Weltkrieg etwas zurückzog und seinem Sohn die Leitung der Klause übertrug, blieb er noch viele Jahre der "Spiritus rector" der Künstlerklause und erhielt im Jahr 1959 sogar das Bundesverdienstkreuz. Fast 91-jährig verstarb der Klausengründer zu Weihnachten 1966.

Übergabe eines Portraits des Heimatdichters Heinrich Wienke in den fünfziger Jahren durch den Künstler Friedrich Eicke (vorne rechts) in der Künstlerklause - Hermann Niederbracht (Bildmitte) begutachtet das Werk.